Dienstag, 8. September 2015

Ernst Fabricius, Ludwig Pietsch: Führer durch das Pergamon- und Olympia- Panorama

Führer durch das Pergamon- und Olympia- Panorama sowie durch das Kaiser-Diorama der centralafrikanischen Erforschungs-Expedition von Dr. Ernst Fabricius und Ludwig Pietsch. Mit sechs Illustrationen und 1 Plan. 2. Auflage. Berlin 1886. Berliner Verlags-Comtoir (Act.-Ges.) Verlag der "Deutschen Illustrirten Zeitung". (Titelblatt des Exemplars der ZLB - Berliner Stadtbibliothek)
Einzelne Artikel in dem gemeinsam von Fabricius und Pietsch herausgegebenen Führer sind namentlich gekennzeichnet. So auch die folgende "Beschreibung des Panoramas" von Ernst Fabricius auf den Seiten 39 - 41:

Beschreibung des Rundbildes.
   Als Standpunkt für den Besucher ist eine Terrasse in der Villa eines reichen Römers angenommen worden, die der Westseite des Burgberges von Pergamon gegenüber, am Abhang hoch über dem jenseitigen Ufer des Selinus zu denken ist. In Wirklichkeit entspricht eine jetzt von Zigeunern bewohnte römische Ruinenstätte im Allgemeinen diesem Standpunkt, nur dass derselbe bedeutend höher gerückt werden musste.
   Wie die Familienangehörigen und Freunde des Besitzers der Villa auf der von Säulen getragenen Plattform zu unserer Linken, schauen wir an hohen Cypressen und Pinien vorüber und über Terrassen- und Gartenanlagen hinweg auf die jenseitige Thalwand und die mit dem Prachtbauten besetzte Burgkrone. Nach links schweift der Blick in die nördliche von der Stadt gelegenen Berge, rechts hin sehen wir hinab auf die weite Kaϊkosebene und die im Südosten und Süden von Pergamon sich hinziehende Gebirgskette. Das Ganze ist verklärt von dem röthlich-goldenem Schimmer der Abendsonne eines klaren Sommertages.
   Etwas links von der Mitte des Bildes erkennen wir sofort an der hoch ansteigenden Rauchsäule den Zeusaltar mit seiner breiten Freitreppe, dem Reliefschmuck um den Unterbau, den zierlichen Säulenhallen darüber und mit dem mächtigen Aschenhaufen auf der Plattform, auf dessen Spitze das Opferfeuer eben entzündet wird.
  Von der mit Denkmälern und Ruhebänken besetzten Altarterrasse, dem Staatsmarkt, führt rechts die Treppe hinab zum unteren Marktplatz. Seine freie Fläche ist grösstentheils durch die langgestreckten Verkaufshallen verdeckt. Der bekränzte Marmorbau auf der uns zugewandten freien Westseite des Marktes ist der Dionysostempel, links davon das Haus mit dem dreifachen Eingang mag das Amtslokal der Marktpolizei sein.
   Links vom Altar erheben sich die zinnengekrönten Mauern und Thürme der Akropolis, der Hochburg von Pergamon. Das Burgthor kommt noch gerade über der Nordwestecke des Altars zum Vorschein.
   Der von den beiden grossen Säulenhallen umgebene Tempel auf dem vordersten Vorsprung der Burg links über dem Altar ist der Tempel der Stadtgöttin Athene (Athena Polias) der „Siegverleihenden“ (Nikephoros). Sein graubrauner Trachyt hebt sich deutlich ab vom weissen Marmor der zweistöckigen Hallen. Im Obergeschoss der letzteren, an dessen Brüstung man die Waffenreliefs (namentlich rechts vom Tempel) noch eben erkennt, ist der Vorraum der Bibliothek. 
   Auf der höchsten Stelle der Burg, links vom Athenaheiligthum, sehen wir den großem Trajanstempel mit seinen Säulenhallen, ganz links auf der äussersten Ecke der Akropolis das kleine Tempelchen der Julia. Durch die Cypressen und Pinien hindurch lässt sich der Kamm des Berges weiter nach Norden bis zur Bogenreihe der römischen Wasserleitung verfolgen.
   Die mächtigen Stützbauten am Abhang unter dem Altar und dem Athenatempel (etwa gerade in Augenhöhe) tragen die über 200 Meter lange Westterrasse. Der kasernenähnliche Bau auf der rechten Seite der Terrasse ist nur ein Theil der kolossalen Stützbauten.
   Das Doppelthor über der rechten Ecke dieses Baues führt zur grossen Terrasse, die hier in ihrem südlichen Theil von Säulenhallen begleitet wird. Gegenüber am Nordende der Terrasse bildet der ionische Tempel (am Abhang unter dem Trajaneum) den Abschluss. Rechts davon sehen wir die kleine Bühne des Theaters und darüber das mächtige Halbrund des Zuschauerraumes mit seinen 80 Sitzbänken.
   Die Künstler haben für ihr Bild einen Moment gewählt aus dem Feste, das in der römischen Kaiserzeit alljährlich in einer der Hauptstädte von Kleinasien, vornehmlich in Pergamon, zur Eröffnung des kleinasiatischen Landtages gefeiert wurde.
   Das Theater ist zur Feier prächtig geschmückt, die Loge des römischen Statthalters ist mit rothem Tuch überspannt. Die Aufführung hat soeben geendet und eine bunte Zuschauermenge sucht auf den schmalen Treppchen und den Umgängen zwischen den Sitzbänken hindurch die verschiedenen Ausgänge zu gewinnen. Die meisten eilen hinüber nach dem Altarplatz und dem Markt, um den Opferzug noch mit ansehen zu können, der sich eben dem Zeusaltar nähert. Die Spitze des Zuges in der Oberstadt hat bereits den Eingang des Marktes erreicht, der grössere Theil ist aber noch ausserhalb des Thores auf der Strasse, die vom Selinusthal aus an der Villa eines reichen Römers und an zahlreichen Grabdenkmälern vorüber zur Burghöhe hinauf führt.
   Ueber die Villen der Reichen, die kleinen Häuser der armen Leute und die in der Stadt zerstreuten Heiligthümer hinweg sehen wir hinab auf die Ebene. Der Hauptfluss Kaϊkos kommt hinter dem fern in Südosten sichtbaren höchsten Berg (dem heutigen Drachala) hervor und fliesst, nur an einzelnen Stellen erkennbar, am jenseitigen Fuss des Gebirges. Seine beiden Nebenflüsse Ketios (links) und Selinus (rechts) lassen sich dagegen weithin durch die Ebene verfolgen.
   Der Hügel zwischen den beiden Flüsschen ist ein künstlich aufgeschüttetes Grab, vermuthlich eines der Attaliden. Villen, Heiligthümer, kleine Ortschaften sind in der Ebene zerstreut, und breite Strassen durchschneiden strahlenförmig nach verschiedenen Richtungen die sorgfältig angebauten Fluren. Auf der östlichen, die an jenem hohen Berge vorbei führt, gelangt man in zwei starken Tagereisen über Thyatira nach Sardes, der Hauptstadt von Lydien, während weiter südlich der Weg über die Berge hinweg nach Magnesia am Sipylos und nach Smyrna führt.

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