Dienstag, 13. September 2016

Berliner Passage-Panopticum: Das Sintflut-Panorama


Die Illustrirten Zeitung vom 23. März 1889, Bd. 92, Nr. 2386, S. 281, berichtet unter dem Titel "Das Berliner Passage-Panopticum mit dem Sintflut-Panorama" über das von Max Koch entworfene Panorama. Der Autor Fendler (wohl Aemilius Fendler) gibt eine lebendige Beschreibung eines Rundgangs durch die Ausstellung im Panopticum, dessen Höhepunkt das Sintflut-Panorama ist. Illustriert ist der Artikel mit zwei ganzseitigen Holzstichen: einem Detail aus dem gemalten Teil des Panoramas (S. 282, siehe oben) und einer Darstellung der plastischen Mammutgruppe im Vordergrund des Panoramas (S. 283, siehe unten). Die Abbildung oben und der Text von Fendler sind die bisher bestens Dokumente zum zerstörten Sintflut-Panorama, die dem Autor bekannt sind, weshalb im Folgenden der gesamte Artikel wiedergegeben ist:

Das Berliner Passage-Panopticum mit dem Sintflut-Panorama
   Den zahlreichen Veranstaltungen, die in der Reichshauptstadt der Schaulust und dem Bedürfniß nach Unterhaltung und Erhebung mit mannigfachen Gaben dienen, hat der laufende Winter in dem „Passage-Panopticum“ eine neue hinzugesellt, die mit einem ungewöhnlichen Aufgebot von Mitteln sich unter den Sehenswürdigkeiten Berlins einen ersten Platz sichert. Die ansehnliche Flucht der großen und kleinen Säle der 1869 bis 1873 von Kyllman und Heyden erbauten, noch immer am häufigsten einfach als Passage bezeichneten Kaisergalerie, in denen jahrelang Castan´s Panopticum mit Fürstensaal und Schreckenskammer, mit Verbrechermasken und anderen wunderbaren Dingen die Neugier reizte, ist die Stätte eines Unternehmens geworden, das zum ersten mal das einstige Wachsfigurencabinett in das Bereich wirklicher Kunst erhebt, mit dessen Darbietungen aber zugleich Malerei und Decoration jeder Art vereint und so ein Ganzes schafft, wie es in ähnlicher Anlage und Durchführung bisher nirgends zu finden war. Mit reichen plastischen Darstellungen wechseln und verbinden sich Panorama und Diorama; schimmernde Transparentbilder leuchten aus wasserdurchrauschten Grotten hervor: Wandgemälde und echtes Geräth schmücken die Restaurationssäle, die sich in die Reihe der eigentlichen Schauräume einfügen. Der Wirklichkeit des Lebens wie der frei gestaltenden Phantasie, dem ergreifenden Ernst wie dem ausgelassenen Witz ist das gleiche Recht geworden. In blumenumwundener Halle aber, deren Bau und Bilderschmuck Erinnerungen an die altclassische Welt, an Rom, Neapel und Pompeji, wachruft, erklingen überdies alltäglich zur Geige und Mandoline die Lieder italienischer Volkssänge, die durch Temperament und Feuer des Vortrags stets wieder von neuem entzücken.
   Entwurf und Ausführung verdankt das Panopticum, dessen künstlerische Leitung dem Bildhauer Neumann anvertraut ist, einer ganzen Schar zumeist jüngerer berliner Meister. Während die Bildhauer Bergmeier und Riesch mit den Malern Max und Georg Koch und Fischer-Cörlin die Gesamtanlage erdachten und die einzelnen Gruppen von Darstellungen feststellten, trat mit ihnen, theils helfend, theils selbständig erfindend, noch eine stattliche Reihe von Genossen für das Gelingen des Werkes ein, das in fünf Monaten angestrengtester Arbeit durchzuführen war. Es genügt, die Maler Saltzmann, Friese, Günther-Naumburg, E. Becker, Hellgrewe, Rummelspacher, Hochhaus, Jacob, Ehrentraut, Grönland, Soucho und Söborg, die Bildhauer Baumbach, Zadow, Bernewitz, Wenck, Götz, Haverkamp, Obmann, Latt, Kiesewalter und Bresser sowie den Architekten Sehring zu nennen, um anzudeuten, welche Fülle künstlerischer Kraft für das Unternehmen herangezogen und freudig eingesetzt wurde. Mit voller Hingabe strebte man eine noch nicht dagewesene Leistung an, und hinter der leitenden Absicht ist das Ergebniß kaum zurückgeblieben.
   Schon das Treppenhaus, das von den Linden her den Haupteingang bildet, umfängt den Beschauer in eigenartigem Schmuck. Während Versinnlichungen der vier großen Welttheile Europa und Asien, Afrika und Amerika als Malereien die Wände zieren, hängen schwebende Blumenkörbe, deren farbige Blüten das elektrische Licht durchglüht, aus dem dichten Grün einer Weinlaube herab. Durch sie weiter schreitend, tritt man dann in einen zerklüfteten Höhlenbau, um von oben her einen unheimlichen Drachen sich gierig hervorrecken und die Gnomen, die zu ihm aufschauen, in grauser Angst erstarren zu sehen. Ueppiger aber noch entfaltet sich die hier anklingende Phantasie auf der anderen Seite des Gebäudes in den ausgedehnten Grottenanlagen, in welche Erd- und Zwischengeschoß dort verwandelt sind. Sie bilden den Rahmen für ein buntes Spiel der Märchenwelt. Transparentbilder, die aus den Felsenwänden herausleuchten, schildern Scenen aus „Reineke Fuchs“, aus „Dornröschen“, „Schneewittchen“ und „Rotkäppchen, während „Aschenputtel“ in leibhaftiger Gestalt in ihrer Küche von Tauben umflattert wird. Auf ragender Klippe ruht die singende Lurley, den Fischer berückend, der unten im Bilde vorüberrudert, und weiter grüßen dann wieder, im Wasser wogend, die Rheintöchter, deren Treiben mit heimlichen Spähen ein lüsterner Satyr belauscht. Langbärtige Gnomengestalten bevölkern dazu diese unterirdische Wunderwelt. Neugierig tauchen sie aus dem Felsen hervor, recken die Zunge begehrlich nach den Wasserstrahlen aus, die über riesige Tropfsteingebilde herabrieseln, oder blicken in stillem Versunkensein auf das Schauspiel der untergehenden Sonne, die im Bilde am fernen Horizont roth verglüht. Hier mühen sie sich, den schweren Metallblock fortzuwälzen; dort lassen sie sie ihre Lust an dem jammernd daliegenden, zwischen das Gestein eingeklemmten Teufel aus. Mit ernstem Bemühen erprobt einer von Ihnen seine Zeichenkunst an dem Bildniß einer zarten kindlichen Psyche, die ihm als Modell sitzt, während ein anderer angstvoll mit einem Raben kämpft, der den Bart des Zwergen mit seinem Schnabel gepackt hat und wüthend zerzaust.
   Aus diesem Reiche der Phantasie steigt man dann in das der Wirklichkeit empor. Plastische Darstellungen des entschlafenen Kaisers Wilhelm, dem sein Kanzler in das entschlafene Auge blickt, und der Aufbahrung Kaiser Friedrich´s, an dessen Katafalk Germania trauert, erinnern in den oberen Sälen an die jüngste Vergangenheit, die stolz aufgerichtete Gestalt des jungen Kaisers Wilhelm und der mit seinen Bleisoldaten spielende Kronprinz an die lebendige Gegenwart. In frei ebenso frisch erfundenen wie malerisch meisterhaft durchgeführten Dioramen, die eine Fülle von Porträts historischer Persönlichkeiten vereinigen, schildert Georg Koch eine Reichstagssitzung, in der Fürst Bismarck redet, und eine Begrüßung fremdländischer Offiziere auf dem Paradefeld durch den Grafen Moltke sowie inmitten beider Scenen den in seinem Arbeitszimmer Hand in Hand mit dem jetzt zur Herrschaft berufenen Enkel dastehendem greisen Kaiser Wilhelm. Drei andere, nicht minder ausgezeichnete Dioramen von Günther-Naumburg gesellen dazu die Bilder der Reichshauptstadt in drei Jahrhunderten ihrer Entwicklung, eine Ansicht der alten kurfürstlichen Residenz und ihrer Umgebungen, einen Blick auf das köllnische Rathhaus und die Stechbahn, wie sie zur Zeit des Großen Kurfürsten sich darstellten, und die an Wahrheit und Leben unübertreffliche Schilderung einer Parade unter den Linden vor Friedrich dem Großen und seinen Generalen. In die neuerworbenen Schutzgebiete des Reiches versetzen den Beschauer dann endlich die in landschaftlicher Umrahmung wieder plastisch ausgestalteten Camerunsäle mit dem genreartige zu einer Darstellung von Kampfspielen verbundenen Volksippen und einer reichen, Land und Leute kennzeichnenden ethnographischen Sammlung.
  Zu den geschichtlichen Bildern treten Sage und religiöse Darstellungen. Während im romanisch gewölbten Gemach des Kyffhäuser am steinernen Tisch Barbarossa im Kaiserornat schlummert, thront inmitten eines biblischen Saales unter goldschimmerndem Baldachin die Madonna mit dem Kinde. Die Gestalten Johannes des Täufers und des Apostels Paulus umgeben sie, und Christus am Brunnen im Gespräch mit dem Weibe von Samaria bildet das Gegenstück der von Bergmeier modellirten lebenathmenden Gruppe des Adam und der Eva, die eben den Apfel vom Baume bricht. Als das hervorragendste Schaustück des Panopticums aber folgt dann das stattliche Panorama der Sintflut, dessen malerischen Theil Max Koch mit Beihülfe des Marinemalers Saltzmann und des Thiermalers Friese ausführte, während Bergmeier in Gemeinschaft mit [Otto] Riesch den plastischen Vorgrund erdachte und die Modellirung desselben leitete. Im Sinne der heutigen Richtung unserer Kunst geht das Werk auf eine durchaus realistische Schilderung des furchtbaren Verhängnisses aus. Weithin ist der Himmel von finsterem Gewölk und von strömendem Regen verdunkelt, der die vom Sturm gepeitschten, in weißlichem Gischt aufschäumenden Fluten immer höher ansteigen läßt. Während fern zur Linken die Arche schwimmt, werden entwurzelte Stämme, an die sich Ertrinkende angstvoll anklammern, und wild durcheinandergeworfenes, in Knäuel zusammengeballtes Gethier jeder Art, Krokodile und Tiger, zottige Stiere, riesige Dickhäuter und mit den Wellen kämpfende Edelhirsche, von den endlosen Wogenschwall fortgerissen und von den Wassern verschlungen. Kreischende Möwen durchflattern die Luft; grell zuckt der Blitz hernieder, und glühend quillt die Lava aus den Kratern feuerspeiender Berge empor. Zuflucht bieten nur noch die hier und da aus der Brandung aufragenden Berggipfel und Baumgruppen und die hohen Felsen, von denen aus der Beschauer das allgemeine Verderben überblickt. Er sieht, wie ein unklar verschwimmendes Menschengewimmel die fernsten Abhänge bedeckt, wie das Entsetzen die bisher noch Entronnenen durchzittert, die weiter vorn auf kahler Steinklippe sich zusammendrängen, wie die Todesangst die Verlorenen mit letzter Kraftanstrengung selbst an den steilen Bergwänden emporklimmen läßt, gegen die das Wasser mit tosenden Strudeln emporschäumt, indeß von oben her die durch den Regen sich bildenden Bäche niederstürzen. Im nächsten Vorgrund aber blickt er auf die figurenreichen plastischen Gruppen derer, die theils mit verzweifeltem Flehen händeringend um ihren Fetisch sich scharen, theils besinnungslos fortstürmen und die Ihrigen mit sich reißen, und entgegenwälzt sich dem Beschauer hier endlich das Gewühl der in wildem Entsetzen fliehenden, Busch und Baum niedertretenden und in der Angst sich gegenseitig vernichtenden Thiere, hoch überragt von einem mächtigen Mammuth, das, selbst von einer Löwin angefallen, den Löwen mit dem Rüssel in die Luft schleudert, um das Hinderniß seiner Flucht aus dem Wege zu räumen.
   Es ist klar, daß ein so umfangreiches, in verhältnißmäßig kurzer Zeit entstandenes Werk, an dem überdies die verschiedenen Hände mitschufen, nicht in jeder Einzelheit die gleiche Vollendung aufweisen wird, und außer Frage steht es, daß ein weiterer Raum eine noch freiere und breitere Entfaltung der von reichstem Leben erfüllten Schilderung ermöglicht haben würde. Mehr als ungerecht aber wäre es, der ganzen Anlage eine ungewöhnliche Frische und Kühnheit künstlerischer Phantasie, der Durchführung zumal der malerischen Theile ein seltenes Maß freien und sichern Könnens absprechen zu wollen. Was hier, ganz abgesehen vom Entwurf und Aufbau der ausgedehnten Composition, in der Schilderung der unverhüllten menschlichen Gestalt in immer wieder neuen, den einmal angeschlagenen Grundton lebendig variirenden, die höchste geistige und körperliche Erregung Anspannung und Erschlaffung widerspiegelnde Bewegungsmotiven, in der lebenswahren Darstellung der verschiedensten Gattungen der Thierwelt und in der packenden Wiedergabe der vom Sturm aufgewühlten wilden Fluten geleistet worden ist, steht auf der vollen Höhe heutigen Kunstvermögens und beweist ein ebenso vielseitiges wie ernst eindringendes Studium. Ein Blick auf die beiden Ausschnitte der Gesammtcomposition, die wir dem Leser in Holzschnitten vorführen, auf die von Koch gemalte wogenumbrandete Felsklippe mit der hier Zuflucht suchenden Menschenschar und auf die nach einer Idee Bergmeier´s von Baumbach modellirte riesige Mammuthgruppe mag eine lebendige Anschauung dieser Vorzüge des Werkes, die letztere Arbeit zugleich auch eine Probe der Kunst geben, die auf die Durchbildung des reichen plastischen Vorgrundes verwendet ist.
   In geschichtlicher Folge, aber in wesentlich anderer Auffassung schließt sich an das Panorama der Sintflut eine große plastische Darstellung der Arche an, aus der Noah, von der Katze behaglich umschnurrt, eben heraustritt, um zuzuschauen, ob der Regen noch immer andauert, während man drinnen im Riesenstall das verschiedenste Gethier in fein säuberlicher Ordnung untergebracht sieht. Mit gutem Glück ist hier ein echt humoristischer Ton angeschlagen, und dieser Humor bringt sich dann weiterhin noch in mancher andern plastischen Gruppe zur Geltung, vor allem aber auch in dem nach dem Muster der Osteria des berliner Ausstellungsparks im Stil „incohärenter Kunst“ ausgestalteten Restaurationssaal, der mit dem tollsten, in der Mischung malerischer und real plastischer Darstellungsmittel wie in den Motiven gleich sehr belustigenden Erfindungen künstlerischer Laune geschmückt ist, und an dessen einer Wand eine von Breuer modellirte reizende Jongleuse, auf dem Rücken ruhend, mit den hochgestreckten, schlanken, tricotumschmiegten Beinen einen durchsichtigen Glasballon balancirt, aus dem das elektrische Licht hervorstrahlt. Unter den mannigfachen Glücks- und Unglücksfällen, die malerischer Uebermuth in diesem Raume schildert, fesselt vor allem eine zweite, durchaus in die Verhältnisse modernen Lebens übertragene, aus den unglaublichsten Requisiten zusammengebaute Darstellung der Sintflut, die um so erheiternder wirkt, als sie ihr ernstes Original Zug um Zug erfindungsreich parodirt. Ihr Autor ist Fischer-Cörlin, der hier den kecksten Humor entfaltete, zugleich aber auch in der glänzenden Ausstattung und Ausmalung des „Japanischen Café“ und des „Römischen Saals“ sich als ein Meister decorativer Kunst von feinstem Geschmack erwies und so durch sein Talent den Räumen, die in dem neuen Panopticum zu geselliger Vereinigung und zu behaglichem Verweilen einladen, ihr reich und eigenartig anmuthendes Gepräge gab.

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