Montag, 8. Mai 2017

Vom Büchertisch - Urväterhort

Titelseite von Urväterhort mit einer Vignette von Max Koch. Hierzu die folgende Rezension:

Vom Büchertisch.
Urväterhort, die Heldensagen der Germanen. Berlin, Martin Oldenbourg. Unter dem Titel „Walhall, die Götterwelt der Germanen“ von Professor E. Döpler d. J. [Emil Doepler] und Dr. W. Ranisch [Wilhelm Ranisch] wurde von der Verlagsbuchhandlung Martin Oldenbourg, Berlin ein nationales Prachtwerk ins Leben gerufen, das die Kenntnis germanischen Götterlebens, das uns bisher im Vergleich zu den griechischen und römischen Göttersagen fremd geblieben war, dem deutschen Volke in Bild und Wort vermitteln sollte. Der große, anhaltende Erfolg, den „Walhall“ gefunden hat, beweist am besten, daß ein lebhaftes Bedürfnis bei uns vorhanden ist, die Göttersagen unserer Altvordern, und damit einen Hauptteil ihres Denkens und Fühlens, in würdiger, künstlerischer Darstellung kennen zu lernen. „Walhall, die Götterwelt der Germanen“ erschöpfte aber die reiche Gedankenwelt unserer Vorfahren nicht. Neben den Göttern haben die alten Deutschen und ihre germanischen Stammverwandten seit Urzeiten auch irdische Helden besungen; in Liedern ähnlicher Art, wie sie Wodan und Donar feierten, erzählte man von den Taten und Leiden sterblicher Männer und Frauen. Gleichwertig neben der germanischen Götterwelt steht die deutsche Heldendichtung: Sie soll den Inhalt eines neuen Werkes bilden das soeben im Format und Ausstattung wie „Walhall“ im Verlag von Martin Oldenbourg, Berlin erschienen ist. Urväterhort, die Heldensagen der Germanen heißt sein Titel: Unseren Urvätern haben diese Sagen ihr Kriegerleben verklärt, den Nachkommen sind sie das Vermächtnis, woraus ihnen die Stimme der Vorzeit vernehmlich erklingt. Das Werk umspannt den ganzen Umkreis des germanischen Gebietes, den Süden wie den Norden, neben den altvertrauten Sagen von Siegfried, von Gudrun, von Hildebrand, stellt es die weniger bekannten, darunter die der Dänen, und bietet damit eine nahezu vollständige Sammlung unserer Heldenpoesie, soweit sie in der heroischen, heidnischen Vorzeit wurzelt. „Urväterhort“ will nicht den oft gemachten Versuch wiederholen, das Nibelungenlied, u. a. in seiner ganzen Breite in einer halb dichterischen Prosa aufzulösen; er will vielmehr den alten Sageninhalt dieser und all der anderen Dichtungen in reinen Linien, in gedrungener Sprache nacherzählen und so die künstlerische Größe dieses Sagen, ihren männlichen, dramatischen Gang, zur Geltung bringen. Aber dieser Aufgabe würde der Schriftsteller allein nicht gewachsen sein, wie in „Walhall“ hat sich ihm der Künstler gesellt, um die alten Recken für uns zu neuem Leben erstehen zu lassen; durch die Kunst des Malers vor allem will auch „Urväterhort“ zu dem Beschauer reden. Professor Max Koch, dessen letzte, vielbewunderte Schöpfungen das neue Preußische Herren- und Abgeordnetenhaus schmücken, hat in 50 Originalgemälden die alten Heldenmären zu farbigen Leben auferweckt. Die Koch´schen farbenprächtigen Schöpfungen sind echt künstliche Darstellungen, stimmungsvoll und sprühend von dramatischem Leben. Das wechselnde Kostüm der Bilder schmiegt sich getreu den überliefernden Denkmälern an und ist Gegenstand besonderen Studiums des Künstlers gewesen. Beim Durchwanden dieser Bilderreihe wird der Deutsche einen frischen Hauch aus der Heldenjungend seines Volkes verspüren und jeder deutsche Vater wird daher „Urväterhort“ gern benutzen, um der heranreifenden Jugend ein begeisterndes und erhebendes Abbild von den kriegerischen Idealen des Germanenvolkes zu geben. Dem künstlerischen Werte der Koch´schen Gemälde entspricht die hervorragende chromotypographische Reproduktion, die in dieser Vollendung bisher unerreicht ist. Den Text des Werkes verfaßte in mustergültiger Weise Prozessor Dr. A. Heußler [Andreas Heusler], der durch seine Forschungen auf dem Gebiete der germanischen Volkskunde rühmlich bekannt ist und der auch „Walhall“ durch ein gehaltvolles Vorwort einleitete. Die Ausstattung des „Urväterhorts“ schließt sich in jeder Beziehung der seines Schwesterwerkes „Walhall“ würdig an. Die gesamte Illustration des Werkes, Buchschmuck, Titel, Einband, Vorsatzpapier, alles ist das Werk Professor Max Kochs: die Schrift, eine „Germanisch“, ist dieselbe wie bei „Walhall“. Der Preis des Werkes beträgt Mk. 20,— und hat nur in Voraussicht einer außerordentlichen Verbreitung so niedrig gestellt werden können. So wird denn in „Urväterhort“ dem deutschen Volke ein nationales Prachtwerk dargeboten, das, ein würdiges Gegenstück zu „Walhall“, wie dieses, Verständnis und Liebe für deutsche Eigenart und deutsches Volksbewußtsein erwecken und verbreiten soll. Die reiche und künstlerische Ausstattung machen das Buch auch in seiner äußeren Gestalt zu einem allseitig willkommenen und dabei eigenartigen Geschenk.
Anonym, „Vom Büchertisch“, in: Bozner Zeitung (Südtiroler Tagblatt), 64. Jg., Nr. 283, 12. Dezember 1904, o.P.

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