"Schon seit einem Jahrzehnt spukt in
deutschen Landen ein wesenloser Begriff, der neuerdings mehrfach in
Zeitungspapier gewickelt, greifbare Gestalt gewonnen hat, hier ausländisch aufgeputzt,
dort mit einem nationalen Mäntelchen umhüllt. „Dekorative Kunst“ nennt sich der
Geist, von dem man eine Neubelebung des modernen Kunstschaffens erwartet, ein
noch nie Dagewesenes, oder doch lange Verschwundenes.
Was sich im Hirn der Literaten auf Formeln gebracht eng zusammendrängt, stellt
sich in Wirklichkeit meist als eine lange Reihe von Thatsachen dar, die langsam
zusammenschließen. Ueber diese alte Erfahrung wäre wenig zu sagen, wenn man es
nicht gleichzeitig versuchte, mit dem Begriff „Dekorative Kunst“ zugleich als
etwas Neues und Nachahmenswerthes eine Ausländerei einzuschleppen, von der
wahrlich kein Heil zu erwarten ist. Unsere Ausstellungen und Kunsthandlungen füllen
sich mit Möbeln und Dekorationstücken französischer und englischer Herkunft,
Tages- und Wochenschriften preisen sie als Muster modernen, geläuterten Geschmacks
an. Wenn man ihren Berichten folgen wollte, könnte man garnicht schnell genug
von unserer heimischen Tradition loskommen, um sich auf den neuen Glauben einzuschwören.
Es ist hier nicht der Ort, sich mit dem wenigen Neuen zu beschäftigen,
das die vom Auslande beeinflußte Ausstattungskunst in Wahrheit aufzuweisen hat;
obwohl man bei einer solchen Untersuchung zu gar merkwürdigen Resultaten
gelangen würde, wie sich denn beispielsweise nachweisen ließe, daß ein gut
Theil des gepriesenen Stils auf deutsche Anregungen zurückzuführen ist. Auch
wäre es nicht uninteressant, darauf aufmerksam zu machen, wie kunstgewerbliche
Unkenntnis uns Manches als modern aufzuschwindeln sucht, was jenseits des Rheins
und des Kanals seit einem Jahrzehnt in das Gebiet der Mode von Gestern übergesiedelt
ist.
Wir wollen uns im Nachstehenden auf die Flächendekoration beschränken
und es versuchen, der ausländischen „dekorativen Kunst“ die gute deutsche „Zierkunst“
gegenüber zu stellen. Wo es sich um Flächenschmuck handelt, begnügt sich der sogenannte
moderne Geschmack mit einem gefälligen, aber seinem Wesen nach bedeutungslosen
Linien- und Farbenspiel. Wenn man an dem zierlichen Gerank japanischer Pflanzenmotive
seine Freude hat, so ist das begreiflich, aber man sollte auch den Ursprung dieser
Dekoration nicht vergessen. In den anmuthig gewundenen Zweigen steckt eine
eigenartige Zeichensprache, durch die sich der Japaner mit seinem Landsmann ohne
Worte verständigt und jede Farbenzusammenstellung hat ihre eigene Bedeutung.
Die verständnißlose Herübernahme dieser Linienführung und Koloristik ist ein
Armuthszeugniß, das wir uns um so weniger auszustellen brauchen, als wir eine
bewährte redende Zierkunst haben, deren wir uns wahrlich nicht zu schämen
brauchen.
Nicht von einem um seiner Gefälligkeit willen importirten bedeutungslosen Formen-
und Farbenspiel, sondern von einem dem modernen Empfinden angepaßten „redenden
Ornament“ ist neues Heil zu erwarten. Von den Wänden unserer öffentlichen Gebäude
herab soll eine große Vergangenheit zu uns sprechen, Festsäle und Wohnzimmer sollen
in ihrem Bilderschmuck von geselligen Freuden und von traulicher Häuslichkeit
erzählen, wie es im stattlichen deutschen Bürgerheim Sitte war seit
Jahrhunderten. Ein Grund zum Bruche mit den Motiven und Formen früherer Zeiten
liegt um so weniger vor, als das Verständniß für sie nur bei denen erloschen ist,
denen das ausländische Fin de siécle-thum augenblendend zu Kopfe stieg.
Es liegt uns sicher fern, der die Wände quadratmeterweise bedeckenden hohlen Kostüm- und Historienmalerei das Wort zu reden, aber es reizt uns, dem sinnlosen, importirten Formen- und Farbenspiel die redende Zierkunst, dem windigen Chic die auf Tradition beruhende Tüchtigkeit gegenüberzustellen. Um nicht in gegenstandloses Aesthetisiren zu verfallen, exemplifiziren wir mit den neuesten Arbeiten eines Dekorationskünstlers wie Professor Max Koch, dessen gesundem Sinn für Flächenschmuck in letzter Zeit viele öffentliche Gebäude und Privathäuser ihre vornehmste Zierde verdanken. Man hat sich jüngst daran gewöhnt, auf ein wohlgeschultes Kompositionstalent mit einer gewissen Ueberhebung herabzusehen, und doch ist und bleibt die Raumbeschränkung der Prüfstein der Meisterschaft. Die redende Zierkunst, wie wir sie verstehen, trägt wohl ihren Rhythmus in sich; aber sobald sie sich in einen gegebenen Raum einfügen soll, muß sie sich einer Tabulatur anbequemen, deren Zwang man ihr nicht anmerken darf.
Als Max Koch das Lübecker Rathhaus ausmalen sollte, handelte es sich unter anderen um die Darstellung einer für die Stadt bedeutsamen Begebenheit: Die Ueberbringung der Urkunde über die Freiheiten und Gerechtsame durch Gesandte Kaiser Friedrichs, der dermalen gegen die norditalischen Städte im Felde lag. Der Lösung dieser Ausgabe stellte sich ein schwer zu überwindendes Hinderniß entgegen. Die disponible Fläche war in Bogenfelder eingetheilt, deren Umrahmung den projektirten Festzug durchschnitt: da hieß es, aus der Noth eine Tugend machen. Der ganze Vorgang wurde hinter die Wandfläche verlegt, und die Gesandten Kaiser Friedrichs zogen wie an Bogenfenstern vorüber, von der jubelnden Menge begrüßt, in die ehrsame Stadt ein. Der Raumzwang wurde so der künstlerischen Freiheit dienstbar gemacht, der ganze Vorgang gewann an Natürlichkeit und spielte sich dioramatisch ab, wie ein wirkliches Geschehniß. Das kam denn auch den einzelnen Gestalten zu Gute, Kriegsknechten und Bürgern, Laien und Geistlichen. Aus dem Kostümbilde wurde eine künstlerisch verkörperte Vergangenheit, die den Lebenden die ruhmvolle Geschichte der Stadt veranschaulichte zur Erinnerung und zur Nacheiferung, ein redender, Jedem verständlicher Wandschmuck. Die Fresken im Leipziger Reichsgericht sind bekannt, aber es ist Manches von den für diesen Zweck bestimmten Entwürfen in den Mappen des Künstlers zurückgeblieben, das der Veröffentlichung werth ist. So reproduziren wir das für den Festsaal projektirte ,,Orakel von Delphi“. Flehend nahen die Sühne suchenden Gesandten. Aus einem Felsen thront lorbeerbekränzt die Pythia und lauscht den erlösenden Worten des geflügelten Genius, der hinter dem Rauch des schlangenumwundenen Dreifußes auftaucht und Gnade spendend die Hände ausstreckt. In antiker Formensprache tritt uns der christliche Gedanke der Strafe als Sühne der Schuld entgegen, die Zierkunst gewinnt Leben durch modernen Empfindungsgehalt. Das ist keine kühl rekonstruirende Gedankenmalerei, sondern eine künstlerische Vermittelung zwischen einer bedeutsamen Mythe und der nüchternen Gegenwart. Freier und ungebundener schaltet die Phantasie des Künstlers, wo es sich um den festlichen Schmuck eines vornehmen Hauses handelt. Die durch die Kunst verklärte Geselligkeit, die veredelte Daseinsfreude ist das Thema der Wandmalereien, mit denen Max Koch den Festsaal der Villa des Freiherrn von Krauskopf-Hohenbuchau bei Wiesbaden zu schmücken berufen ist. Deckengemälde und Supraporten, deren Entwurf wir hier zuerst veröffentlichen, zeugen bei aller Freiheit der Erfindung von einem feinen Kompositionsgefühl, dem der gegebene Raum keine Schranke, sondern einen willkommenen Maßstab für den Rhythmus der Gruppen bedeutet. Von einem Strahlenkranz umgeben, schwebt Apoll auf weißem Flügelroß von Wolken getragen daher. Beschwingte Genien und Putten übertragen die von ihm ausgehende Begeisterung auf bocksbeinig über einander purzelnde Faunchen, die das Empfangene weiter geben an ein um den Rand des Deckengemäldes gruppirtes Gewirr bacchischer Gestalten. Was da vom klassischen Olymp herniederschwebt, gewinnt in den Supraporten irdische Gestaltung im malerischen Renaissance-Gewande. Der würdige Hausherr empfängt, die Gattin am Arme, die nahenden Gäste und ein wohlbesetztes Orchester läßt, hinter einer Ballustrade versammelt, fröhliche Melodien ertönen. Das Ganze macht einen überaus fröhlichen Eindruck, das Renaissance-Kostüm erscheint nirgends als Maske, sondern als natürliches Feierkleid, der von der Decke herniederklingende Begeisterungshymnus tönt in den Supraporten in ruhiger Festfreude aus.
Was Professor Koch schafft, ist von jenem dekorativen Sinne erfüllt, den man als modernes Postulat aufstellen möchte, und wenn seine Formensprache sich der überlieferten Grammatik bedient, so ist sie doch durch eine frei konstruirende Syntax geregelt. Eine so souverän mit der Tradition schaltende Künstlerschaft läßt sich nur durch ernste Arbeit erringen, wie sie den Ultramodernen meist zu unbequem ist. Man muß eben etwas gelernt haben, um nicht in der Konvention stecken zu bleiben. Aus der Schule des Kunstgewerbemuseums hervorgegangen, hat Max Koch sich nicht mit der für Begabte üblichen Stipendienreise nach Italien begnügt. Auch er hat in den Pariser Ateliers bei Galland gearbeitet und sich dort sein gesundes deutsches Empfinden bewahrt.
Das Naturstudium, das man für die Pseudodekorativkunst als Privilegium in Anspruch nehmen möchte, ist eben nicht Selbstzweck, sondern ein Durchgangsstadium, das man ebenso überwindet, wie die konventionelle Tradition. Professor Koch's Atelier birgt neben quadratmetergroßen Entwürfen ein kleines Studienblatt, das für seine Art des Schaffens charakteristisch ist. Sorgfältig, mit peinlichem Fleiß durchgeführt, sieht man da die gekrausten Umrißlinien einer pilzartigen Schmarotzerpflanze. Und wenn man den Künstler nach der Bedeutung dieser Studie fragt, dann macht er ein ganz ernsthaftes Gesicht und antwortet leuchtenden Auges: „Ja, sehen Sie, da nehme ich meine dekorativen Motive her.“ Von dem Apoll des Deckengemäldes bis zu dem moosartigen Gebilde, welch' ein weiter, für das Kritikasterauge unermeßlicher Weg!
Es ist eben ein seltsam Ding um die Kunst, die zwischen Ueberlieferung und Natur so lange hin und herschwankt, bis ihr das individuelle Können die Wege weist.
Gerade dieses individuelle Können aber droht der dekorative neue Stil zu ersticken. In seinem Linien- und Farbensystem steckt die Gefahr des Schematismus. Es sagt nichts, weil es nichts zu sagen hat, oder es spricht eine fremde Sprache, die wir nicht verstehen.
Max Koch hatte für einen Bechstein'schen Flügel auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896 in Weiß, Gold und zarten Farbentönen die dekorativen Zeichnungen geliefert, die noch deutlicher als seine großen Wand- und Deckenmalereien zeigen, was wir unter redender Zierkunst verstehen.
Die Wagneropern und die in ihnen behandelte deutsche Sage lieferten die Motive für Schnitzarbeit und Malerei. Die Ornamentik des Instrumentes erzählte von dem künstlerischen Dienst, in den es gestellt wurde. Das konstruktive Element, von dem jüngst wieder mehr als nöthig gefabelt wird, war vollkommen gewahrt, ohne allein formenbildend zu wirken und die freie Erfindung zu hemmen. Der Zweckbegriff des Flügels war nicht nüchtern stofflich, sondern phantasievoll wesenhaft gefaßt und zum Ausdruck gebracht."
anonym (wahrscheinlich der Herausgeber
und Schriftleiter der Zeitschrift Georg Malkowsky): „Max Koch, ein Dekorations-Künstler.“, in: Deutsche Kunst. Illustrirte Zeitschrift für
das gesammte deutsche Kunstschaffen. Central-Organ deutscher Kunst- und
Künstlervereine. Berlin, 2. Jg., Nr. 8 vom 15.01.1898, S. 141f.
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