Freitag, 17. September 2021

Vortrag über "Dekorative Malerei" vor der Vereinigung Berliner Architekten am 5. April 1894

   "In der geselligen Vereinigung vom Donnerstag, den 5. April d. J. [...] 
   Diesen Mittheilungen folgt nunmehr der Vortrag des Hrn. Prof. Max Koch über „Dekorative Malerei". Die mit der Frische des in einer reichen Praxis stehenden Meisters gegebenen Ausführungen des Redners wenden sich zunächst der Abgrenzung des Gebietes der dekorativen Malerei von jenem der Staffelmalerei zu und weisen insbesondere nach, dass für ein in den Raum komponirtes dekoratives Gemälde vollkommen andere Gesichtspunkte maassgebend sind, als für das Staffelgemälde. Dieser Unterschied lasse sich bei den Werken der französischen Künstler deutlich erkennen, bei welchen sich der Gebrauch eingebürgert hat, die dekorativen Gemälde, die zum integrirenden Bestandteil eines Bauwerkes werden und demgemäss im Raum selbst entworfen und mit Wasserfarben auf die Putzflächen gemalt sein sollten, im Atelier auf Leinwand zu malen und sie erst nach der Vollendung in dem zu schmückenden Raum anzubringen. Der Beweggrund für diesen Brauch sei neben der grösseren Bequemlichkeit beim Arbeiten der Umstand, die Gemälde so in dem alljährlichen Salon ausstellen zu können. — Es kann nun die Beobachtung gemacht werden, dass, wenn die Bilder zu sehr Atelierbilder sind, sie später im Raume nicht die erwartete Wirkung hervorbringen, dass sie jedoch, wenn sie den Bedürfnissen des Raumes angepasst sind, wiederum im Ausstellungsraum eine völlig andere Wirkung hervorbringen, als die erwartete. Daraus folge nach der Ansicht des Redners, dass ein für einen bestimmten Raum gemaltes dekoratives Gemälde in diesem Raum entworfen und unmittelbar auf den Putz gemalt sein müsse und sich nicht unter anderen Verhältnissen, als den durch den bestimmten Raum gegebenen würdigen lasse. Dabei befürwortet der Redner den Vorzug der Wasserfarbe vor der Oelfarbe, sie dunkle nicht nach und ermögliche durch eine geschickte Benutzung des Malgrundes eine zartere und leuchtendere Farbenwirkung. Die Architekten werden vom Redner ermahnt, sich bei dem Entwurf der dekorativen Ausschmückung eines Raumes frühzeitig mit dem Dekorationsmaler in Verbindung zu setzen: es könne dadurch manche überflüssige architektonische Gliederung des Raumes gespart werden und der Dekorationsmaler habe, unter voller Beachtung des architektonischen Momentes, eine grössere Freiheit in seiner Thätigkeit. Vor allem wäre dadurch die Möglichkeit gegeben, die Dekorationsmalerei in ein harmonisches Verhältnis zum Raume zu bringen. Als dekorative Werke, die in dieser Beziehung als mustergültige Beispiele zu nennen sind, erwähnt der Redner die Wand aus dem Palazzo Labbia in Venedig von Tiepolo, die Decke von San Sebastiano in Venedig von Paolo Veronese, die Fassade des Gebäudes zum Spaten in der Friedrichstrasse zu Berlin usw. Nach einer kurzen Vorführung des Entwicklungsganges eines Dekorationsmalers schreitet der Redner zur Erklärung der im Saale ausgestellten Reiseaufnahmen und dekorativen Entwürfe, welche die ganze Meisterschaft und brillante Darstellung des Künstlers in glänzendstem Lichte zeigen. Unter ihnen ragten besonders die Entwürfe für die künstlerische Ausschmückung des Rathhauses in Lübeck hervor. Diese Erklärungen, welche wie der ganze Vortrag, mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommen wurden, enthielten noch eine Menge feiner Wahrnehmungen und Beobachtungen für die Komposition der Darstellungen und ihre Beziehungen zum Raum.
 
anonym, "Mittheilungen aus Vereinen. Vereinigung Berliner Architekten", in: Deutsche Bauzeitung, 28. Jg., Nr. 33 vom 25.04.1894, S. 207.

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