Sonntag, 9. Oktober 2016

Potsdamer Maler.

   Der Potsdamer Kunstverein, der zwar in diesem Jahre nicht mit einem „Kunstsommer“ aufwarten kann, zeigt gleichwohl in seinen Ausstellungen — im Kunstsalon Heidkamp, Schwertfegerstraße — eine glückliche Hand. Kann sein, daß man dabei sogar dem chronischen Geldmangel unserer Tage Dank wissen muß, denn die Scheu vor den Transportkosten befördert ein intensives Schürfen nach malerischen Qualitäten in der Heimatstadt, das im Lauf der letzten Monate schon sehr erfreuliche Resultate gezeitigt hat. Auf Basedow folgen jetzt Kollektionen von Alfred Liedtke und Professor Max Koch, von denen der letztgenannte ein beachtliches Stück der Entwicklung deutscher Malerei in sich schließt.
   Alfred Liedtke — er ist während des Kriegs als Soldat gestorben — dessen Gedächtnis jetzt vom Kunstverein gewürdigt wird, hat mehr getan, als die Natur gemalt. Er hat die Natur erlebt, und wie er dieses Erleben mit dem Pinsel zu gestalten wußte, das zeigen die Bilder, die ihn im Aufwärtsschreiten zeigen, in einem Suchen nach der großen befreienden Weite, die er in einigen köstlichen Meisterwerken erringt. Es wäre vielleicht eine Aufgabe für die Stadtverwaltung, an die Erwerbung des einen oder anderen Bildes zu denken. Da ist z. B. eine herrliche Komposition der alten Glienicker Brücke, ein wahrhaft monumentales Werk, das mit seiner köstlichen Raumverteilung und dem Edelton der Farbe eine Zierde jeden repräsentativen Raumes bilden würde. Liedtkes Pinsel hat niemals die Natur kopiert. Mit einer spürbaren Erregung ist er ihren Offenbarungen nachgegangen und mit impulsiver Schaffensfreude wurden Eindrücke hingesetzt, die mit kräftigster Unmittelbarkeit noch heute wirken. So geben des Malers Skizzen, die in dieser Gedächtnisausstellung reichhaltig vertreten sind, die schönsten Aufschlüsse über seinen offenen Sinn für die Widerspiegelung seelisch-malerischer Eindrücke. Es sind Hafenbilder darunter, Dünenlandschaften, Marinestücke, die Lichtschwingungen und Stimmungen in höchster Vollendung vermitteln.
   Von Eugen Bracht ist Alfred Liedtke, der Fährmannssohn von der Pfaueninsel, zuerst befruchtet worden. Eine Birkenlandschaft mit der farbigen Auffassung etwas gewollt-bedeutender Wirkung ist ein Zeuge jener Zeit. Von höchstem Reiz ist es dann, die Entwicklung zum eignen Ich in Liedtkes Schaffen zu verfolgen. Das Format wird kleiner, die Wirkung größer. Es entstehen Gipfelleistungen wie das Oelbild der „Breiten Brücke", der vereisten Havellandschaft und des Haveldorfes. Der Maler ringt mit einem Blick, vorüber an begrünten Bäumen zu einem zart verschwimmenden Hintergrund; was an der belaubten Gruppe noch nicht gelingt, das findet an einem Kiefernschlag seine schöne Erfüllung.
   Als ein Meister räumlicher Wirkung, als ein intuitiver Erfasser geistigen Gehalts, zeigt sich Liedtke in seinem Bilde von Sanssouci. Hier ist er fern von jeder „gestellten“ Wirkung, ebenso fern von bloßer Naturtreue. Jenes Unbestimmbare, das erst den echten Künstler macht, lebt in diesem herrlichen Bild. — Daß diese Hoffnung so früh dahingehen mußte.
   Bei der Max-Koch-Ausstellung empfindet man es wohltuend, daß die Kommission nicht nur gleichwertiges herausgesucht hat. So bleibt es reizvoll, eine Entwicklung zu beobachten, die mit vielen Handschriften über vielerlei Probleme führt, einen Maler, der bisweilen mit dem Ausdruck vergeblich gerungen, der aber auch ganz große Offenbarungen geben konnte.
   Potsdamer Motive heben sich besonders heraus. Von hohem Reiz sind Professor Kochs Impressionen des Stadtkanals. Impressionen, trotzdem das Wort auf Ulrich Hübners lockere, formauflösende Art viel deutlicher zu passen scheint. Im ersten Augenblick erscheinen diese Kanalbilder farblos. Scheinen. Denn sofort kommt die Erkenntnis, daß hier eine bewußte Abstimmung auf den Ton herrscht, daß das Licht mit einer impressionistischen Feinheit behandelt ist, die in gewissen Halbtönen geradezu raffinierte Reize schafft. Diese Bilder reihen sich in ihren sensiblen Valeurs den Werken aus Lesser Urys Pariser Zeit an. Bemerkenswert ist auch der im großen Zimmer hängende Sanssouci-Kanal. In diesem Bilde hat Koch im Ausdruck der flimmernden Luft, feiner Farbigkeit und zitternder Umrisse die Sprache Corots erreicht — vielleicht sogar übertroffen.
   In demselben Raume bewundert man die „Tübekesche Bootswerft". 1917 steht unter diesem Bild. Damals hätte „man“ es schon anders gemacht; aber besser — nein. Gewiß, das Bild „erzählt“, das Motiv ist genrehaft verwertet. Doch bei aller Kunst bleibt das „Wie“ entscheidend. Und in diesem Interieur steckt ein prächtiges Raumgefühl, atmen Luft und Licht mit einem lebendigen Hauch, der über das Nur-Gegenständliche weit hinausführt. Im kleinen Raum findet man einen Blick auf den „Alten Markt“, der interessante Aufschlüsse über eine „herrische Periode“ gibt, durch die Professor Koch gegangen ist.
   Es sei eines Blumenstückes nicht vergessen, das ganz Farbe, ganz Duft ist. Dieser „Rittersporn“ ist eine großartige Leistung liebevollen Sichversenkens in das Wesen eines blühenden Geschöpfes, und das Große dabei: Nicht ein Hauch von Süßlichkeit ist in diesem Bild. Ein Mann hat es gemacht.

Hans Hupfeld, „Potsdamer Maler“, in: Berliner Börsen-Zeitung, 70. Jg., Nr. 347, 26. Juli 1924, Morgen-Ausgaben, S. 3.

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