Sonntag, 20. Dezember 2015

Theater am Schiffbauerdamm - Vorhang

Der Sieg des Idealen über das Reale, 1892, Vorhang, Neues Theater am Schiffbauerdamm.
Der Verbleib des Vorhangs ist unbekannt.

Über den Künstler, der den ersten Vorhang für das Neue Theater am Schiffbauerdamm gemalt hat, gibt es in der zeitgenössischen Literatur sich widersprechende Aussagen. Am 20. Januar 1894 berichtete das Zentralblatt der Bauverwaltung in einem Artikel über "Das Neue Theater in Berlin" (14. Jg., Nr. 3, S. 21-24), dass der Vorhang von Woldemar Friedrich (1846-1910) gemalt worden sein: "Bei dieser künstlerischen Ausgestaltung seines Werkes haben dem Architekten hervorragende Kräfte zur Seite gestanden. So wird der Meisterhand Woldemar Friedrichs der Hauptvorhang verdankt. Professor Max Koch schuf mit seinen Schülern die Decken- und Gobelin-Malereien des Erfrischungssaales, Günther-Naumburg malte das Dioramenbild in diesem Raum, eine Darstellung der klassischen Theaterruinen von Taormina, und der bewährten Hand Ernst Westphals waren die gesamten decorativen Bildhauerarbeiten anvertraut, von der Nischenfigur über dem Haupteingange abgesehen, die vom Bildhauer Paul Peterich modellirt worden ist." (Zitat S. 24). Diese Zuschreibungen wurden mehrfach zitiert und als glaubwürdig angesehen.
Andererseits berichtete die Kunstchronik, Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe bereits im Dezember 1892 wesentlich detailierter wie folgt: „Der Vorhang ist von Professor Max Koch gemalt. Der Inhalt der Darstellung ist der Sieg des Idealen über das Reale. Ein Jüngling, der sein Ross hinter sich führt und von allerlei Gestalten gefolgt wird, steht am Rande eines Gewässers, aus dem Nixen auftauchen und ihn durch dargereichtes Geschmeide und Waffen zu verlocken suchen. Er beachtet aber weder ihre schönen Gestalten, noch die Schätze, die sie ihm bieten. Sein Blick ist aufwärts gerichtet nach einer Idealgestalt, die in den Wolken schwebt und ihm den Kranz entgegenstreckt." Anonym, "Vermischtes", in: Kunstchronik, NF 4. Jg., 1892/93, Heft 7, 1. Dezember 1892, S. 106-107, Zitat S. 107. Die Kunstchronik bezieht sich in ihrer Beschreibung auf einen Artikel in der Berliner "Post", den sie zitiert.
Dieser Zuschreibung ist bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt geworden, was verblüfft, denn angesichts des Bildes spricht stilistisch nichts für Woldemar Friedrich, aber alles für Max Koch. Zudem hatte der Architekt des Theaters Heinrich Seeling (1852-1932) zuvor die Stadttheater in Halle an der Saale und Bromberg gebaut und auch dort hat Max Koch die Vorhänge gemalt. Es gab also eine bereits etablierte Beziehung zwischen Koch und Seeling und da Max Koch mit Sicherheit das Foyer im Neuen Theater dekoriert hat, lag es nahe, ihn auch abschließend mit dem Vorhang zu beauftragen. Möglicherweise war Woldemar Friedrich einmal für den Vorhang vorgesehen oder in der Diskussion für die Vergabe. Vielleicht gab es auch eine Zusammenarbeit oder einen ersten Entwurf. Ausgeführt hat den Vorhang aber nach Ansicht des Autors Max Koch.
Dafür spricht auch die Größe der das Bildfeld umfassenden Dekorationen, die ungefähr die Hälfte der Gesamtfläche ausmachen. Das zentrale Bildfeld ist zunächst von einer Blumengirlande gerahmt, mit Muscheln in den Ecken und Musikinstrumenten am oberen Rand. Dieser innere Rahmen wird flankiert von gemalten Pilastern, die mit Grotesken verziert sind und unten in Kränzen abschließen. Zwischen den Kränzen ist ein Blätterwerk gemalt, das zwei Arrangements mit Masken zeigt. In der Mitte dann eine Muschel, aus der Pan schelmisch herausgrinst, vor ihm liegt die Panflöte und seitlich strecken zwei Schwäne ihre Flügel aus. Darunter noch ein weiterer Fries mit gemalten Troddeln. Die Vorhangfalten am oberen Rand sind plastische Ausformungen des Bühnenrahmens, die nicht verschwinden, wenn der Vorhang gehoben wird.
Die oben gezeigte Fotografie ist ein Detail aus einer Fotografie, die im Architekturmuseum der TU Berlin aufbewahrt wird (Inv.-Nr. F5191). Sie ist rechts unten von Heinrich Seeling signiert und gehört zu einem umfangreichen Konvolut, das die Arbeiten von Seeling dokumentiert.
Die Fotografie wurde veröffentlicht als Beilage ohne Seitenzahl in: Deutsche Bauzeitung, 27. Jg., 1893, Nr. 78, (zum Artikel auf den Seiten 473-474). Eine andere Aufnahme, die den Vorhang von Max Koch zeigt, ist dem Autor noch nicht bekannt. 

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